Organizational Datafication: Einfluss auf Organisationstrukturen

Digitale Daten gewinnen exponentiell an Relevanz. Besonders Organisationen geraten mehr und mehr in den Zugzwang der «digitalen Transformation».

Organizational Datafication: Einfluss auf Organisationstrukturen
Foto: Conny Schneider / Unsplash

Digitale Daten gewinnen exponentiell an Relevanz. Besonders Organisationen geraten mehr und mehr in den Zugzwang der «digitalen Transformation». «Transform or die» — scheint das Motto der modernen Wirtschaftswelt zu sein.

Diesem Isomorphie-Druck (nach Di Maggio/Powell) geben Organisationen durch die Einführung diverser datengenerierender und datennutzender Initiativen (Daten-Initiativen) nach. Zusammengefasst werden diese Initiativen unter dem Begriff «Organizational Datafication». Sie haben einen Einfluss sowohl auf die formalen wie auch auf die informalen Strukturen innerhalb einer Organisation.

Organizational Datafication?

Intra-organisationale Prozesse und Kommunikationswege werden immer weiter digitalisiert: Digitale Whiteboards wie Miro oder Mural erleichtern die Zusammenarbeit mit Kunden, das geschäftliche Telefon durch MS Teams oder Zoom abgelöst. Die interne Kommunikation findet auf Slack statt und Dokumente werden nicht mehr abgelegt, sondern geshared.

Besonders das Jahr 2020 hat der Digitalisierung und damit der Verdatung von Organisationen einen starken Schub verliehen. Mit mehr digitalen Tools im Einsatz, werden mehr digitale Daten generiert. Durch Verdatung werden Unternehmen sowohl zu Produzenten wie auch zu Abnehmern immer grösserer Datenmengen (vgl. Muster & Büchner 2018). Den Daten wird entsprechend auch immer mehr Gewicht verliehen, so gewinnen die Auswertung und Analyse interner sowie externer digitaler Daten immer mehr an Relevanz.

«Datafizierung zeigt sich hier als ‘Unterfall’ der Digitalisierung, nämlich in Initiativen der organisationsinternen Datengenerierung und -nutzung.»
(Muster & Büchner 2018: 255)

Die Datafication stellt somit eine Herausforderung für die formalen wie informellen Strukturen einer Organisation dar.

Die Dreifaltigkeit der Organisationsstrukturen

Folgen wir an dieser Stelle dem Soziologen Niklas Luhmann und betrachten Organisationen systemtheoretisch als autopoietische, informations-verarbeitende soziale Systeme. Formale Struktur, informale Struktur und lokale Rationalitäten (vgl. Muster & Büchner 2018) sind für Organisationen entscheidend, um komplexe Aufgaben erledigen zu können. Die Datafizierung betrifft alle drei.

Im Vergleich zu anderen sozialen Systemen verlangt die Organisation nach einer formalen Mitgliedschaft (Arbeitsvertrag) (nach Luhmann). An diese Mitgliedschaft sind klare Regeln und formale Erwartungen gebunden, deren Nicht-Einhaltung sanktioniert werden kann. Die formale Struktur einer Organisation besteht entsprechend aus Verträgen und Regelwerken, dem Organigramm sowie den offiziellen Kommunikations- und Berichtswegen.

Parallel dazu bildet sich in Unternehmen eine informale Struktur. Dies, um der Rigidität der formalen Struktur entgegenzuwirken. Informelle Kommunikationswege etablieren sich, Regel-Lücken, füllen sich durch informelle Prozesse und Kollegialität basierend auf Informalität wird ermöglicht. Ohne diese «brauchbare Illegalität» (nach Luhmann 1997) oder dem Abweichen von formalen Regeln funktionieren Unternehmen genauso wenig wie ohne eine funktionierende (Formal-)Struktur.

Empirisch ist erwiesen, dass Organisationen sich zu teils widersprüchlichen Zielen verpflichten. Klassisches Beispiel dafür ist: «schnelle Fertigung» vs. «höchste Qualität». Diese Widersprüche bilden innerhalb von Unternehmen Gräben, auch lokale Rationalitäten genannt, entlang derer sich die Mitarbeitenden in Gruppen positionieren. Diese Gruppen folgen ihren eigenen Denkstrukturen.

Datafication und ihr Einfluss auf die Organisationsstruktur

Daten-Initiativen werden im organisationssoziologischen Kontext als Restrukturierungsmassnahmen definiert. Wie jede Restrukturierung bringen auch neue Technologien und Daten-Initiativen intendierte und nicht intendierte Folgen mit sich.

Mit der formalen Struktur werden Initiativen der Datafizierung in Organisationen wo möglich verwoben. So finden neue Abteilungen und Funktionen Eingang ins Organigramm (Bsp. Data Science, Digital Compliance Officer, usw.), die neu eingeführten Software-Systeme bilden die bestehende Struktur ab (Bsp. die Rechtevergabe im ERP-System).

Verändern sich allerdings die bestehende formale Struktur oder bestehende Prozesse durch die Datafication (Bsp. dank der Relevanz von Datenanalysen, werden Prozesse neu ausgelegt, um an bestimmte Kennzahlen zu gelangen) kann dies zu Umstrukturierungen innerhalb der Organisation führen. Für Umstrukturierungen klassisch: Führungsstrukturen verändern sich, Kommunikationswege werden umgestellt, im schlimmsten Fall kommt es sogar zu Entlassungen.

Auch auf die informelle interne Struktur hat die Datafication einen Einfluss. So führen mehr Daten und Tools auch zu mehr Sichtbarkeit innerhalb der Organisation. Was bisher teils informell und unter vier Augen erledigt wurde, wird nun durch Software formalisiert. Die Mitarbeiter:innen suchen sich entsprechend neue Formen der «brauchbaren Illegalität». Beispielsweise werden Kaffee-Pausen über Videotelefonie-Tools organisiert.

Bei den lokalen Rationalitäten tun sich ebenfalls neue Fronten auf. So stehen sich plötzlich jene Mitarbeiter:innen, die remote arbeiten und jene, die vor Ort sind, gegenüber. Belegschaften spalten sich entsprechend nicht nur in fachliche, sondern auch in technische lokale Rationalitäten auf.

Ist die Datafication in Organisationen etwas Schlechtes?

Nein. Technologischer und datengetriebener Fortschritt bietet für Organisationen viele Chancen und Möglichkeiten. Organisationen orientieren sich neu. Gerade im Jahr 2020 war dies so deutlich wie nie zuvor.

Die Mitarbeiter:innen gewöhnen sich schnell an digitale Tools, an «work from everywhere» und an datengestützte Entscheidungsprozesse. Die Möglichkeiten der Datenanalyse ermöglichen es Unternehmen, Trends viel schneller und präziser zu identifizieren, ihre Produkte auf dem Markt gezielter zu platzieren und die Konsumenten:innen oder Partner:innen besser zu verstehen. Auch als interne Steuerungselemente können Datenauswertungen einen grossen Mehrwert bringen und dem Management als Basis für strategische Entscheide dienen.

Die Frage ist, wie mit der Technologisierung und der Datafication innerhalb von Organisationen umgegangen wird. Wer fällt die Entscheide darüber, welche Daten ausgewertet und wie gespeichert werden? Wie die Daten ausgewertet und visualisiert werden? Und wer trifft strategische Entscheide, auf Basis dieser Daten? Was sind die Kosten für die Einführung von neuen Technologien und was bedeutet die Einführung für die organisationalen Strukturen und auf die Mitarbeitenden?

Diese und mehr Fragen müssen vor der Einführung beantwortet werden.

Quellen:

  • Luhmann, Niklas, 1999. Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin.
  • Hempel, L., Krasmann, S., Bröckling, U. (Eds.), 2011. Sichtbarkeitsregime: Überwachung, Sicherheit und Privatheit im 21. Jahrhundert, Leviathan Sonderhefte. VS Verlag für Sozialwissenschaften.
  • Muster & Büchner, 2018. Datafication und Organisation. In: Datengesellschaft: Einsichten in die Datafizierung des Sozialen, 2018. Digitale Gesellschaft. Transcript, Bielefeld.