Self-Set-Pay bei Zeilenwerk, Part II

Teil zwei der Self-Set-Pay Serie.

Self-Set-Pay bei Zeilenwerk, Part II

Mit der Ansage, dass bei Zeilenwerk die Mitarbeitenden ihre Löhne selber wählen (als Fachbegriff self set salaries oder self-set-pay) haben wir in der Vergangenheit einiges an Staub aufgewirbelt.

Gerne nehmen wir die aktuelle Lohnrunde zum Anlass uns nochmals einige (kritische) Gedanken zu dem Thema zu machen und in drei Blogbeiträgen das Thema nochmals aus einer objektiven und subjektiven Betrachtungsweise zu beleuchten.

Part II: Das Wie.

Selbstgewählte Löhne sind keine «one size fits all»-Lösung. Eine Organisation ist als komplexes System – ähnlich einem Organismus – zu verstehen, eine Sammlung von Menschen, ihren Werten und arbeitsbedingten Umständen.

Als Software-Agentur mit rund 20 Mitarbeitenden ist dies bei uns ein international aufgestelltes und teilweise remote arbeitendes Team. Wir bieten viel Gestaltungsfreiraum und Flexibilität im Arbeitsalltag sowie ein hohes Mass an Eigenverantwortung und Anforderungen an Selbstmanagementkompetenzen.

Viele dieser Faktoren sind massgebliche Faktoren bzw. Trigger für das, was wir heute als unseren Self-set-Salary-Prozess beschreiben. Dieser Prozess entstand als Resultat einer rund 2-jährigen Konzeptions- und Einführungsperiode und wurde unterdessen in Teilen auch schon weiter verfeinert und angepasst.

Voraussetzungen

Lohntransparenz ist eine unabdingbare Rahmenbedingung. Jedes Teammitglied weiss exakt, wer wie viel verdient und kennt somit auch die Gesamtlohnsumme. Nach reiflicher Überlegung haben wir uns dazu entschieden, sämtliche «Fringe-Benefits» wie etwa Fitness-Abos abzuschaffen. Wir sind zum Schluss gekommen, dass diese oft als Verschleierung für individuelle Vorteile oder nicht allen bekannt waren. Folglich wurden diese Benefits umgewandelt: Gewinnausschüttung, 40-Stunden-Woche und 6 Wochen Ferien, welche direkt und allen Mitarbeitenden zugutekommen.

Nun, da die Voraussetzungen da sind, lass uns gemeinsam Schritt für Schritt durch unseren jährlichen Self-set-Salary-Prozess gehen:

Schritt 1: Das Briefing & Wahl des Sounding Boards

Zu Beginn stellt unsere Finance Workgroup einen an die üblichen Quartals-Abschlüsse angelehnten «Salary Guide» zur Verfügung. Darin werden neben den aktuell wichtigsten Unternehmenskennzahlen auch eine Einschätzung hinsichtlich künftigem Geschäftsgang und einer realistischen Lohnentwicklung geteilt. Zudem konsultieren wir auch immer wieder offizielle Studien und Marktbefragungen des Bundesamtes für Statistik.

Als neutrale Stelle zur Facilitation und Moderation des Prozesses wird jedes Jahr eine Gruppe Mitarbeitende als Sounding Board gewählt. Dieses stellt sicher, dass individuelle Widerstände adressiert werden und ein konstruktiver Austausch zwischen einzelnen Personen stattfindet.

Schritt 2: Vorschlag #1

Was ist deine Arbeit heute wert? Diese Frage wird ein erstes Mal konkret und mit einer absoluten Zahl hinsichtlich Lohnkompensation von jeder einzelnen Person via Fragebogen beantwortet. Zusätzlich dazu kann die Mitarbeiterin auch noch angeben, wie sie ihren Lohn relativ zum aktuellen Lohnniveau und ihren Kollegen und Kolleginnen einschätzt.

Das Resultat dieser «Umfrage» wird anschliessend offengelegt.

Schritt 3: Feedback und Anpassung

Auf den Vorschlag #1 können alle Mitarbeitenden Feedback geben. Dabei wird eine Kategorisierung in «viel zu hoch», «zu hoch», «ok», «zu wenig» sowie «viel zu wenig» vorgenommen.

Ziel hierbei ist es, das Potenzial von Tensions (Blocker, bei denen jemand später im Prozess ein Veto einlegt) zu identifizieren.

Zusätzlich zum kategorischen Feedback gibt es auch die Möglichkeit, inhaltliche Rückmeldungen an die entsprechende Person zu geben. Dabei sollte hier die Basis zur weiteren Diskussion und Auflösung dieser Wiederstände gelegt werden, wir achten hier auf konstruktive und konkrete Inputs.

Schritt 4: Vorschlag #2

Basierend auf dem Feedback obliegt es nun jeder Person, ihren zweiten, vorerst finalen Vorschlag zum eigenen Gehalt zu formulieren. Bei diesem wird davon ausgegangen, dass auf erhaltene Inputs reagiert wurde und der Vorschlag grundsätzlich mehrheitsfähig ist.

Zentral dabei (und oft auch der Schlüssel, eine verfahrene Lage zu «entblockieren»): unser Mantra good enough for now, safe enough to try gilt auch hier.

⚠️ Während diesem Schritt findet viel Austausch und Abstimmung hinter den Kulissen statt. Dabei agiert das Sounding Board als neutrale Instanz beim Austausch zwischen einzelnen Personen und vermittelt so bei Auseinandersetzungen.

Schritt 5: Wahl & Implementation

Sobald ein finaler Vorschlag einer neuen Lohnliste existiert, wird dieser in globo als Eingabe für unser Steering Board fixiert und eingegeben. Bei Zeilenwerk orientieren wir uns dabei am durch Soziokratie 3.0 und andere Modelle der Selbstorganisation etablierten Konsent-Prozess, an dem hinsichtlich der aktuellen Löhne jedes Teammitglied teilhaben kann.

Die Löhne werden als Gesamtes vom Team entweder akzeptiert oder – bei validen Widerständen trotz Bereinigung – erneut als Eingabe vor dem Steering Board verhandelt.

Bis heute gelang es jeweils auf Anhieb, einen konsensfähigen Vorschlag zu formulieren, theoretisch besteht aber bis zum Schluss die Möglichkeit für jede Mitarbeiterin, ihre Widerstände gegenüber dem Vorschlag vorzubringen und eine Anpassung zu verlangen.

Schritt 6: Reflektion und Feedback

Auch weil wir unseren Lohnprozess als zyklischen, wiederkehrenden Ablauf mit stetiger und ständiger Verbesserung ansehen, wird jede Iteration davon von einer Retrospektive und Feedbackrunde abgeschlossen. Hier wollen wir auf Schwächen und persönliche Unzufriedenheiten eingehen und diese im nächsten Zyklus anpassen, ohne dabei den Gesamtprozess unnötig zu blockieren.

Die Sicherheit, dass vorerst noch bestehende Tensions gegenüber dem Prozess adressiert und in einer nächsten Runde angepasst werden, erlaubt einem dabei das good enough for now, safe enough to try Prinzip auch auf unseren Prozess anzuwenden und vom Anspruch nach Perfektion zu demjenigen der Durchführbarkeit zu gelangen.

Was wir nach 2.5 Jahren Self-Set Pay und der mittlerweile dritten Iteration und Anpassung des Prozesses gelernt haben, erörtern wir im dritten Teil unserer Serie.